Vortragsmanuskript                                        07.11.03, Thomas Muetsch

Die Gründerväter der modernen Raumfahrt


Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski
1857 - 1935
1903, Herleitung der Raketengrundgleichung
Walter Hohmann
1880 - 1945
1925, Die Erreichbarkeit der Himmelskörper
Hermann Oberth
1894 - 1989
1923, Die Rakete zu den Planetenräumen
1929, Wege zur Raumschiffahrt

125 Jahre Walter Hohmann - Leben und Werk des nordbadischen Raumfahrtpioniers


1. Der Mensch Walter Hohmann:

Quelle: www.erfatal-museum.de/txt-welt.htm

geboren am 18.03.1880 in Hardheim / Odenwald als Arztsohn, 2 ältere Schwestern
1885 Umzug nach Port Elizabeth, Südafrika, Besuch der englischen Volksschule
1891-1900 Humanistisches Gymnasium und Abitur in Würzburg
1904 Staatsexamen zum Dipl.-Bauingenieur an der TH München
diverse Tätigkeiten in Wien, Berlin, Hannover, Breslau
seit 1912 in Essen am Städtischen Hochbauamt in der Statischen Abteilung und Materialprüfstelle, deren Leiter er bis 1945 ist
1915 Heirat, 2 Söhne Rudolf (1916) und Ernst (1918)
1916 Einreichung seiner Dissertation - "Über das Zusammenwirken von altem und neuem Beton in Eisenbetonkonstruktionen" - bleibt durch den Krieg liegen. Erst im April 1919 teilt die Technische Hochschule Aachen - noch unter dem Siegel "Königliche" - die Annahme der Dissertation mit
ab etwa 1910 Raumfahrt als Steckenpferd; Niederschriften von ersten Berechnungen zur Weltraumfahrt führen zu seinem Werk "Die Erreichbarkeit der Himmelskörper" (1925)
gestorben am 11.03.1945 in Essen (das Kriegsende und den Tod seines Sohnes Ernst an der Kriegsfront hat er nicht mehr erlebt)

Ihm verdankt die Welt die erste Berechnung der Raumflugbahnen.

2. Sein Werk: Die Erreichbarkeit der Himmelskörper, 1925

Auflage : 2100 Stück, Preis: 5 RM, 88 Seiten
Sein Buch ist noch heute erhältlich, in der 3. Auflage.
Es beschreibt nicht nur die heute nach ihm benannten Hohmann-Flugbahnen und deren Herleitung, sondern stellt auch eines der ersten umfassenden Lehrbücher der Raumfahrt dar.

2.1 Loslösung von der Erde (13 Seiten)

besser: Loslösung von der Erdoberfläche oder
Aufstieg im Schwerefeld der Erde

Exakte mathematische Herleitung der Raketengrundgleichung mit
Randbedingung (Annahme) Beschleunigung a = const.

Mit dem unterster Grenzfall für die "Raumfahrt": a = 30 m/sec^2, c = 2000 m/sec führte er eine erste Dimensionierung für Raketen durch.
Dabei ergibt sich eine Rakete mit einer logarithmischen Form mit einem höchsten Durchmesser am Raketenende (entsprechend dem Brennbeginn).
Er variiert die Ausströmgeschwindigkeit c = 2000, 2500, 3000, 4000 und 5000 m/sec und deckt damit bereits 1925 den gesamten Bereich der chemischen Treibstoffe ab, der auch heute noch in Anwendung ist.
Die Brenndauer lässt sich auf 9000 m/sec / 30 m/sec^2 = 300 sec grob abschätzen, was grundsätzlich auch der heutiger Technik entspricht.
Selbst Gravitationsverlust und Luftwiderstand beim Aufstieg werden berücksichtigt.
Das Stufenprinzip und die technische Realisierung von Raketen wurde nicht beschrieben (einstufige Raketen sind sehr viel größer als mehrstufige).

Heutiger Ansatz :
Das Mehrstufenprinzip findet Anwendung.
Die Beschleunigung a ist nicht konstant. Sie beträgt beim Start nur unwesentlich mehr als 1 g.
Der Durchsatz dm ist nahezu konstant, bis max. Beschleunigung erreicht ist, dann wird i.a. gedrosselt.

Die exakte Herleitung der Raketengrundgleichung (die er mit oder ohne Wissen früherer Arbeiten des Russen Ziolkowski durchgeführt hatte) und deren Ergebnisse, führten selbst in Expertenkreisen (z.B. vom damaligen VDI-Präsidenten) dazu, Walter Hohmann als Phantasten zu bezeichnen. Und das immer noch in 1925, bereits 10 Jahre nach Veröffentlichung der Relativitätstheorie (A.Einstein) und in der Hochzeit der Entwicklung der Quantentheorie (deren Ergebnis u.a. die Atombombe in 1945 war (Todesjahr Walter Hohmanns)). 3 Jahre vor seinem Tod und nur 17 Jahre nach der Buchveröffentlichung hat Walter Hohmann noch die erste Großrakete A4 / V2 fliegen gesehen bzw. gehört.

2.2 Rückkehr zur Erde (27 Seiten)

besser : zur Erdoberfläche
Ausführliche Behandlung des atmosphärischen Wiedereintritts.

Korrekter Vorschlag zum tangentialen Einfall in die Lufthülle zur Verlängerung der Bremsstrecke.
Konkretes Rechenbeispiel für Aerobraking, um aus einer Parabelbahn in die Kreisbahn und zuletzt in den Gleitflug über zu gehen bis zur Landung am Fallschirm mit Ermittlung der Bremsstrecke, der Bremsdauer und der Bremsbeschleunigung.

Ebenfalls berücksichtigt wurde die thermische Belastung beim Eintritt in die Atmosphäre.
Zuletzt erhebt Walter Hohmann die Forderung nach fortschreitender Klärung durch Versuche, da ungewöhnlich hohe Geschwindigkeiten und ungewöhnlich geringe Luftdichten zusammen wirken.

Nicht berücksichtigt wurde der so genannte Blackout beim Wiedereintritt. Dieser tritt ein, wenn bei sehr hohen Geschwindigkeiten die umströmenden Luftschichten ionisiert werden und elektrische Funkwellen dann die entstehende Plasmaströmung nicht mehr durchdringen können.

2.3 Freie Fahrt im Raume (22 Seiten)

d.h. schwerelos im Weltraum (keine Eigenbeschleunigung)

Bahnübergänge werden durch Richtschüsse aus Geschützen realisiert.
Heute wird für Bahnänderungsmanöver Treibstoff abgestoßen (stationär oder gepulst).
Zahlreiche detaillierte Rechenbeispiele des 2-Körper-Problems zeigen ein Optimum für tangentiale "Richtschüsse" im Peri- bzw. Apozentrum. Der mathematische Beweis hierfür erfolgte erst 1963 durch den Engländer Lawson.
Diese Übergangsbahnen sind die heute allgemein als Hohmann-Bahn bezeichneten Flugbahnen.
Er geht dabei bis an die Grenze der Aktivspäre der Erde (wissentlich oder unwissentlich) in 800.000 km Entfernung.

Das Buch beschreibt korrekt die Schwerelosigkeit und zeigt eine Abschätzung für den Menschen.

Nicht beschrieben sind:
- das Phänomen der Raumkrankheit
- weitere Umwelteinflüsse (atomarer Sauerstoff, Strahlungsgürtel, Magnetfelder,…)
- die Sichtbarkeit von Satelliten am Erdboden (ISS, Iridium-Flares,…)
- die Begrenzung der Gültigkeit der Berechnungen durch Neutral- und Aktivsphäre
- das Mehrkörper-Problem und sie Lagrange´schen Punkte L1 - L5

2.4 Umfahrung anderer Himmelskörper (13 Seiten)

- Umfahrung im Sinne von freiem Fall
Es wird ein detailliertes Rechenbeispiel für einen Flug von der Erde zur Venus erläutert. Der Zielorbit befindet sich in großer Venusentfernung (800000 km). Der Startorbit befindet sich in großer Entfernung zur Erdoberfläche.
Dabei werden zwei Möglichkeiten berücksichtigt:
- Flugbahn aus zwei gleichen Halbellipsen (Flugzeit: 2,15 Jahre)
- Flugbahn aus drei unterschiedlichen Halbellipsen (Flugzeit: 1,58 Jahre)
Die Abschätzung des Verhältnisses Startmasse zu Rückkehrmasse eines bemannten Raumschiffs ergab 83000 (1.Möglichkeit) bzw. 82000 (2.Möglichkeit). Diese sehr hohen Werte ergeben sich, weil Ausströmgeschwindigkeit c nur mit 2000 m/sec angenommen wurde.

Auch eine bemannte Fahrt zu Venus und Mars werden exemplarisch beschrieben:
- Flugzeit: 1,58 Jahre (entspricht der 2.Möglichkeit) , Rückkehrmasse: 4,44 to
- für     c=2000 m/sec: Startmasse: 567000 to
           c=4000 m/sec: Startmasse: 3150 to (vergleichbar mit späterer SATURN V)

Nicht beschrieben sind:
- Annäherung an Venusoberfläche
- Gravitationsmanöver durch nahen Vorbeiflug (Swing-by, Fly-by, Gravity-assist,…)
- Grand Tour Jupiter-Saturn-Uranus-Neptun durch geeignete Vorbeiflüge
  (bei VOYAGER 2 realisiert)

Die Wartezeit nach Erreichen eines Planeten oder Zielorbits für den geeigneten Moment zur Rückkehr zur Erde bzw. dem Ausgangsorbit, bezeichne ich in meinen Unterlagen als Hohmann-Aufenthaltsdauer.

Heutiger Ansatz:
Einschuss in eine Flugbahn zu den Planeten erfolgt bereits nahe bei der Erdoberfläche (in einem Kraftstoß / Impuls). Hohmanns (falsche) Annahme von zwei nötigen Impulsen (1. zur Loslösung von der Erde und 2. zur Annäherung an den Zielplaneten jeweils durch einen getrennten Geschützrückstoß / Geschwindigkeitsmanöver) wurde nahezu zeitgleich durch Hermann Oberth widerlegt.

2.5 Landung auf anderen Himmelskörpern (13 Seiten)

Auch der Start auf Venus, Mars und Mond und Rückkehr zur Erde wurde an Rechenbeispielen dargestellt.
Venus sei als erdähnlich besonders geeignet. Heute weiß man, dass hohe Temperaturen (ca. 500 °C) und Drücke (ca. 100 bar) an der Oberfläche der Venus herrschen.
Eine Marslandung wurde auch untersucht, jedoch wurde vorausgesetzt, dass der Mars keine bremsende Atmosphäre besitzt. Heute weiß man, dass die Atmosphäre für Bremsmanöver (sog. Aerobraking) ausreicht.
Die später nach ihm benannten Übergangsbahnen zu Mars und Venus bezeichnete er als "Kometenfahrt".
Auch die Mondlandung wurde behandelt.
Wahlweise wurde untersucht, alle nötigen Treibstoffe und Versorgungsgüter von der Erde mitzubringen oder aber den Teil für die Rückkehr zur Erde erst vor Ort auf Mars, Venus oder Mond zu erzeugen.
Der Mond könnte wegen seiner geringen Anziehungskraft als vorgeschobener Versorgungsposten für weiterreichende Raumfahrten genutzt werden.

Nicht beschrieben sind:
Sein "Beiboot" zur Mondlandung war ein erster Ansatz für ein Stufen-Prinzip (SATURN/APOLLO war eine sechsstufige Raumschiff-Kombination). Dieses "Beiboot" wurde aber nicht in diesem Werk, sondern erst in einem anderen Aufsatz 1928 (von Willy Ley) veröffentlicht.

Fazit:

Aus den gewonnen Erkenntnissen schließt Walter Hohmann (im Schlusssatz), dass die beide Planetenbahnen berührende Ellipse tatsächlich die (energie-)günstigste Verbindungsmöglichkeit darstellt.

Walter Hohmann war stets davon überzeugt, dass die Raumfahrt realisiert werden würde. Umso mehr, als er Informationen erhielt (von Valier und Oberth), die auf höhere Ausströmgeschwindigkeiten schließen ließen.

Heute erreichbare typische Ausströmgeschwindigkeiten:
c = 2000 m/sec : Kleintriebwerke mit lagerfähigem Einstoff (Hydrazin)
c = 2500 m/sec : Feststoff-Pulvertürme (Shuttle, Ariane 5)
c = 3000 m/sec : Kleintriebwerke mit lagerfähigem Zweistoff (MMH, NTO)
                Unterstufen zur Loslösung von der Erde
c = 4000 m/sec : Haupttriebwerke mit kryogenen (d.h. tiefkalten),
      nicht lagerfähiger Treibstoffkombination LH2/LOX
c = 5000 m/sec : Theoretische Obergrenze chemischer Treibstoffe

c = 50000 m/sec : Elektrische Triebwerke (Xenon) im MilliNewton-Bereich

Der Durchbruch für den Startschuss zur Entwicklung der Raumfahrt ist ihm mit diesem Werk nicht gelungen, dies gelang aber bereits kurze Zeit später mit dem Werk Hermann Oberths "Wege zur Raumschiffahrt", 1929 oder dem Stummfilm von Fritz Lang "Die Frau im Mond" (Uraufführung: 15.10.1929, Berlin, Ufa-Palast am Zoo).


Hermann Oberths Werk "Wege zur Raumschiffahrt" beschreibt dabei in 22 Kapiteln umfassend die Grundlagen der heutigen Raumfahrt detailliert und wissenschaftlich korrekt. Seit dieser Veröffentlichung sind nur noch wenige damals unbekannte Fachgebiete der Raumfahrt und Bahnmechanik neu beschrieben und entdeckt worden (z.B. die Gravitationsmanöver (Gravity-assist, Fly-by, Swing-by)).


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